Beim Zahnarzt – die 249ste oder so


Die Krankenkasse hatte dem Kostenvoranschlag für eine neue Zahnprothese stattgegeben und der Termin bei einem  Zahnarzt war auch schon abgesprochen.

„Guten Morgen Herr Zahnarzt“ sagte der Patient als er von einer Assistentin das Zahnarztes in das Behandlungszimmer geführt wurde.

Eigentlich sollte ich ja im Anzug, mit weißen Hemd und Krawatte zu Ihnen kommen. Ihr Wartezimmer hängt ja voller Diplome und Urkunden über Weiter, Fort und Zusatzausbildungen. Alle Achtung.

„Ja das muß man auch“, sagte der Zahnarzt. „Nehmen Sie Platz“, sagte der Zahnarzt auf den Behandlungsstuhl zeigend. Er drehte sich um, öffnete die Schublade eines Schrankes um die entsprechende passende Metallform für den Abdruck des Unter und Oberkiefer herauszunehmen.

„Was ich sie mal fragen wollte: Haben Sie ein Problem mit HIV?“

Hektisch und fieberhaft fing der Zahnarzt auf einmal an in einer Schublade nach Gummihandschuhen und einem Mundschutz zu wühlen, die weder er noch seine Assistentin bis zu diesem Zeitpunkt getragen hatten. Man konnte förmlich ahnen wie der Zahnarzt plötzlich blaß wurde.

Aber das müssen Sie doch vor einer Behandlung sagen, sie müssen doch einen Arzt informieren, stammelte der Zahnarzt. Sie wissen doch, da ist doch gerade diese Verhandlung wegen Körperverletzung . . . „.

„Herr Doktor ich will nicht mit Ihnen schlafen“ sagte der Patient. „Es geht nur um einen Abdruck meines Kiefers für eine neue Prothese.“ Zudem ist es mir neu das ein HIV Positiver per se einen Arzt informieren muß.“

„Ja aber wir müssen uns doch schützen“ sagte der Zahnarzt. „Wir müssen besondere Vorkehrungen treffen. Und das Labor muß auch besondere Vorkehrungen treffen.“sagte er den Mund hinter einem Mundschutz verborgen.

„Ja, aber sie könnten ja eine Wunde, eine Verletzung am Kiefer haben . . . .“ Der Zahnarzt murmelte dann noch irgendetwas von „Nichts mit Stigma zu tun“ und „das es besser sei wenn der Arzt informiert werde“.

Erst dann fiel es dem Zahnnarzt ein das er sich ja grundsätzlich bei jeder Behandlung eines Patienten schützen muß. Zu seinem und auch zum Schutz des Patienten.

Herr Zahnarzt, Wenn ich eine Verletzung bzw eine Wunde am Kiefer hätte, dann hätte ich mit Sicherheit nicht den Termin wahrgenommen. Ein Abdruck meines Kiefers würde ja dann keinen Sinn machen.  Es wird ja weder gebohrt noch gezogen. Ich bin seit 25 Jahren HIV positiv. Sie dürfen versichert sein das ich weiß was ich mache. Da bin ich Experte so wie Sie in Ihrem Beruf Experte sind.

Die Behandlung, der Abdruck beider Kiefer wurde dann auch zügig vorgenommen. Beide, der Patient wie auch der Zahnarzt, kamen dann auch darauf zu sprechen das es ja ca 1 Mio Menschen mit einer HEP C gibt. Ja sagte der Zahnarzt und die wie Hep A,B,D – F auch.

Nach ca 10 Minuten waren die ersten Abdrücke dann genommen. Der Patient stand vom Behandlungsstuhl auf und smalltalkend zu dem Zahnarzt gewandt sagte er, „Ich hoffe doch das jetzt nichts zwischen uns, d.h. von Ihnen zu mir steht“, sagte der Patient, drehte sich um und zog seine Jacke an, die er über einen Stuhl gehängt hatte. „Bis zum nächsten Termin“, sagte der Patient und ergriff die gummibehandschuhten Hände der Assisteninnen und des Zahnarztes während er ihnen in die Augen ihrer halb unter einem Mundschutz verborgenen Gesichter schaute.

*

Der nächste Termin gestaltete sich schon viel entspannter. So wie er nun mal gestrickt war hatte er vor seinen Bogen und einen Köcher voller Ironiepfeile mitzunehmen. Er liebte es einfach zu provozieren. Nur – was würde das ändern? Es würde die Fronten verhärten und – das war das ausschlaggebende warum  er letztendlich diese Waffen zu Hause ließ, es würde nichts zu einer Entspannung beitragen. Im Gegenteil. Vorhandene Ängste würden weiterhin existieren und verstärkt werden. Und das Ängste vorhanden waren, das entnahm er der einen und anderen Äusserung des Zahnarztes.  Na ja es kann ja nichts schaden wenn man vorsichtig ist, sagte er irgendwann während der Behandlung.

Zwischen den div Abdrücken, die der Zahnarzt bei diesem Termin abnahm erzählte er von seiner Infektion. Insgesamt waren der Doc, eine ausgebildete Med Arzthelferin und ein weiblicher Lehrling im Behandlungszimmer. Er erzählte wie lange er schon mit dem HIV Virus lebte, erzählte wie es ihm erging als der Virus sich mit ner PcP ihm meldete, seit wann er Medikamente nahm und das seine Viruslast seit Beginn der ART unter der Nachweisgrenze und somit eine Infizierung, eine Übertragung des HI Virus durch selbst bei einem Arbeitsunfall nahezu unwahrscheinlich ist. Er erzählte ihnen von dem tiefen Loch in das er wegen der Nebenwirkung von Crixivan gefallen war und wie er mit professioneller Hilfe rausgekommen ist. Die Atmosphäre während der Behandlung die dieses Mal eine Stunde dauerte war sehr entspannt.

*

Mittlerweile ist die Behandlung abgeschlossen und die Zahnprothese sitzt wie angegossen. Nach dem „Ersten Aufeinandertreffen“ fanden die folgenden Behandlungstermine in einer sehr angenehmen und entspannten Atmosphäre statt. Das anfängliche Mißverständnis das zwischen Ihm und dem Zahnarzt aufgetreten war, spiegelte eine alte Erfahrung wieder, die er damals als man ihn mit der Diagnose “ Sie sind Positiv“ konfrontierte am eigenen Leib erfahren hatte:

Das schlimmste an einer Krankheit ist es , nichts über die Krankheit zu wissen.

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2 Antworten zu Beim Zahnarzt – die 249ste oder so

  1. Miriam F. schreibt:

    Wer Angst vor dem Zahnarzt hat, sollte unbedingt zu einem Fachmann gehen, der weiß, wie mit dieser Blockade umzugehen ist. Es gibt nämlich durchaus Zahnarztpraxen, in denen sich der Patient wohlfühlen kann.

  2. alivenkickn schreibt:

    Miriam

    Es geht nicht um „Angst“ vor dem Zahnarzt, sondern es geht um diskriminierendes und unprofessionelles Verhalten von nicht wenigen Ärzten insbesonderen Zahnärzten gegenüber Menschen mit HIV im Jahr 2010. Nach 30 Jahren Wisssen um HIV in Deutschland ist dies schlicht und einfach inakzeptabel.

    Zahnärzte – besser als ihr Ruf? (akt 7)

    HIV im Alltag – Teil 3 – Arztbesuche (akt 41)

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