Face your Face
Whereever you are
whatever you do
everybody hast to stop now and than
Catch a breath – get some rest
Even if it s in the middle of nowhere . . .
Intro
Nach Jahren des Verdrängens und Wegschiebens, nach Monaten schmerzhaftester immer wiederkehrender Entzündung hatte er sich endlich durchgerungen sich operieren zu lassen. Nachdem ein Arzt in seiner Heimatstadt sich geweigert hatte ihn zu operieren, beschloss er in das Klinikum zu gehen wo er wegen anderer Krankheiten schon seit Jahren in Behandlung war und deshalb wusste dass man ihn dort nicht abweisen würde. Es folgten zwei Monate des Versuchs die Entzündung auf ambulantem Wege wenn nicht zu beseitigen sie doch wenigstens zu mindern. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. So entschloss er sich zur Operation.
Am Tag der Aufnahme erfolgten die üblichen Untersuchungen. Für ihn war klar das die Operation nur unter Vollnarkose stattfinden würde, während es für den Anästhesisten klar war das er wusste das man ihn nur unter einer lokalen Betäubung operieren würde. Weil weder er noch der ihn behandelnde Arzt im Vorfeld nicht über die Art der Anästhesie gesprochen hatten traf ihn die Mitteilung: „Die Operation findet unter einer Lokalanästhesie statt“ wie ein Schlag mit dem Hammer. Sofort stellte sich ihm die alte Begleiterin – die Angst in den Weg. Es schien ihm wie schon des öfteren dass ihm das Herz zerspringen würde. Gelähmt vor Entsetzung wollte er am liebsten aufstehen und aus dem Krankenzimmer stürmen. Schon die Vorstellung mehrere Betäubungsspritzen an dieser Stelle gesetzt zu bekommen löste schon Panik in ihm aus. “Überlegen sie es sich noch einmal“, sagte der ihn operierende Arzt während des Infogespräches zu ihm. “Wenn sie eine Vollnarkose wollen dann könnten wir sie frühestens in 6 Wochen operieren. Ich komme in einer halben Stunde wieder. Dann teilen Sie mir bitte Ihre Entscheidung mit“.
Ruhelos wie ein gefangener Tiger in seinem Käfig lief er in dem Krankenzimmer auf und ab. Immer wieder stellte er sich die mit den Einstichen verbundenen Schmerzen vor. Und mit jedem Mal verließ ihn ein sein Mut. Er war nicht fähig eine Entscheidung zu treffen, wusste nicht was er machen sollte. Also beschloss er einen Freund anzurufen um ihn zu fragen wie er sich in solch einer Situation entscheiden würde. In Wirklichkeit wollte er dass sein Freund eine Entscheidung für ihn traf. Aber das funktioniert in bestimmten Situationen einfach nicht. Natürlich war sein Freund nicht zu Hause. Wie schon sooft musste er wieder einmal die Erfahrung machen das es Situationen im Leben gibt wo nur er alleine eine Entscheidung treffen konnte – treffen musste. Kein Mensch konnte sie ihm abnehmen.
Langsam wurde er ruhig. Er erinnerte sich einer Zen Atemtechnik die er irgendwann mal gelern hatte um ruhig zu werden. Er begann sich auf seinen Atem zu konzentrieren und fing an jeden seiner Atemzüge zu zählen.
Einatmen – 1
Die Luft einen Moment einbehalten
- Ausatmen – 1
Einatmen – 2
Die Luft einen Moment einbehalten –
Ausatmen – 2
Einatmen – 3
Die Luft einen Moment einbehalten -
Ausatmen – 3
In dieser Weise verfuhr er bis zu seinem 10.ten Atemzug. Dann atmete er tief durch und fuhr mit dieser Übung fort. Solange bis Ruhe in ihn eingekehrt war. “Was soll `s“, sagte er zu sich. „Ab dafür. Jetzt wo ich schon mal hier bin will ich s endlich hinter mich bringen“. Ungeduldig wie er nun mal war verließ er sein Zimmer um dem Arzt seine Entscheidung sofort mitzuteilen. Natürlich war der Arzt nirgendwo zu sehen. Also ging er zurück in sein Zimmer und um dort auf ihn zu warten. Er war zwar ruhig geworden und seine Angst hatte etwas nachgelassen aber sie war nach wie vor präsent.
Er wusste keinen Ausweg mehr und obwohl er kein gläubiger Mensch war, außer wenn es ihm dreckig ging und nicht mehr weiter wußte so wie jetzt, fing er an zu beten. Gott hab Erbarmen mit mir. Nimm Dich meiner an. Doch aus dem Gebet wurde auf einmal ein innerer Dialog. „Warum“ so fragte er sich, „sollte sich Gott seiner erbarmen, wenn er Anderen gegenüber in der Vergangenheit erbarmungslos gehandelt hatte“? Jetzt wo er vor lauter Angst nicht mehr weiter wusste, wendete er sich an Ihn und bat ihn, ja forderte für sich das was er Anderen in der Vergangenheit verwehrt hatte. Ihn überkamen Zweifel an der Berechtigung dieser Bitte. Er fühlte dass es nicht ehrlich sei wenn er auf diese Art weiterbeten würde. Es musste ein einfaches, ehrliches Gebet sein – soviel stand für ihn fest. Keine Forderung und keine Bitte. Hätte er dies getan so wäre sein Gebet für die Zukunft eine Art Hintertür die er sich offen lassen würde. Nach dem Motto: “Ok Alter hilf mir jetzt. Wenn s vorbei ist dann mach ich eh so weiter wie vorher. Und wenn s wieder mal für mich eng werden sollte, nun Du wirst es schon auf die Reihe bringen“. Alles was er tun konnte war Gott zu bitten dass er seine Hand über ihn halten möge. Keine Forderung – Keine Bitte. Und schon das fiel ihm schwer.
Kurze Zeit später kam der Arzt ins Zimmer und fragte ihn wie er sich entschieden habe. “Ok“, sagte er. „Ich lasse mich operieren. Aber nur unter einer Bedingung. Ich nehme meinen CD Player mit in den OP Saal und hör Musik. Ich hab keinen Bock drauf mir Gesprächsfetzen wie: “Schwester das Skalpell, die Schere oder ähnliches“ anhören zu müssen“. Einen kurzen Moment stutzte der Arzt dann sagte er lachend: “Ok, geht in Ordnung.“
Zwischenspiel
„Wir müssen Sie noch einmal operieren.“ Gelassen nahm er diese Nachricht zur Kenntnis. „So was habe ich schon vermutet“ sagte er, redete aber mehr mit sich selbst als mit der Ärztin. Sie haben ein Carcinom das sich im Anfangsstadium befindet und noch nicht bösartig ist.
Ich habe Krebs – Ihm war als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Er stand auf und fing an im Arztzimmer hin und her zu laufen. „Setzen Sie sich bitte wieder hin“, sagte die Ärztin zu ihm, die höchsten 27 Jahre alt war. Erst glaubte er sich verhört zu haben – aber als sie ihn nochmals aufforderte sich hinzusetzen, fuhr er sie an: „Sagen Sie mir nicht auf welche Art und Weise Ich mit solch einer Nachricht umzugehen habe“. “Krebs“, dachte er bei sich. „Scheiße – aber irgendwie habe ich es geahnt“.
Ursache und Wirkung. Keine Wirkung ohne Ursache. Karma. Wie hinter einer Nebelwand verborgen drangen nur noch Wortfetzen zu ihm durch. . . „. . . . . eine Blutuntersuchung vornehmen“. „Nein“ fauchte er sie an. Sie sollten mal Ihre Augen aufmachen – denn dann würden Sie der Akte entnehmen dass diese Untersuchung bereits stattgefunden hat“. „In diesem Ton reden SIE nicht mit mir“ entrüstete sie sich. Jetzt brach sich seine Angst und seine ganze gegen sich selbstgerichtete Wut in Form von Zynismus endgültig die Bahn. „Nur in diesem Ton“ sagte er zu Ihr. „Anders scheinen Sie nicht aufzuwachen. Also machen Sie die Augen auf, schalten Sie ihr Gehirn ein und überlegen sich was sie sagen wollen bevor Sie es aussprechen.“ “Genau das ist es was mich an diesen ambulanten Sprechstunden ankotzt“, dachte er. „Du hast zehn Termine gehabt und neun verschiedene Ärzte kennen gelernt. Jeder Einzelne meint das Rad neu erfinden zu müssen und alle – ausnahmslos alle müssen sie entweder den Chefarzt oder den Professor noch zu Rate ziehen weil die behandelnden Ärzte nicht in der Lage sind selbst ein Urteil oder eine Entscheidung zu treffen“. “Ich rufe jetzt noch den Chefarzt und den Chirurgen“ sagte sie. „Beide sollen sich diese Geschichte noch mal anschauen.“ “Ja, ja machen sie nur“, sagte er zu Ihr und wandte ihr den Rücken zu
Er stand am Fenster des Untersuchungszimmers und schaute hinaus. Draußen wirbelte der Novemberwind die von den Bäumen herabgefallenen Blätter durcheinander. Er konnte seine Gefühle nicht länger unterdrücken und begann an zu weinen. „Scheiße“ dachte er nur, während ihm die ersten Tränen über die Wangen liefen. Gefühle die er lange verdrängte hatte, kamen wie eine Urgewalt aus seinem Innersten heraus. Doch er war immer noch ein Meister des Nichtzulassens und des Rationalisierens. Ein paar Schluchzer waren alles was er hervorbrachte. Was sollen diese Tränen“? „Warum und für wen vergieße ich sie denn“? fragte er sich selbst. Im Grunde sind sie nichts anderes als ein Ausdruck von Selbstmitleid.
Face the face, got to face the face – © Pete Townshend
Es war einer jener seltenen Momente im seinem Leben wo er der Wahrheit ins Auge schauen konnte so wie er jeden Morgen in den Spiegel schaute wenn er sich rasierte. Die Diagnose Krebs war nichts weiter als das manifestierte Symptom einer Ursache der er Zeit seines Lebens hinterher jagte gleichwie einer Fata Morgana in der Wüste die er – ein Dürstender – für Wasser hielt. Was er suchte war Liebe und die Wege auf denen er glaubte sie zu finden waren so hoffnungslos wie vergeblich. Jedes Mal wenn er mit einer Frau schlief hoffte er die Liebe endlich gefunden zu haben. Im Moment nach der Ekstase glaubte er die Liebe gefunden zu haben. Aber es war nichts weiter als ein körperliches mattsein das ihn ausfüllte. Es dauerte nicht lange und das alte, bekannte innerliche Nagen breitete sich wieder in ihm aus. Manchmal schlief er mit zwei oder drei Frauen in einer Nacht nur um dieses Gefühl des ermattet seins, das er für inneren Frieden hielt sooft wie möglich zu erfahren.
Wie sich die andere Person dabei fühlte, was sie dabei fühlte, dies scherte ihn wenig. Manchmal gab es Situationen wo er einen Menschen traf die wie er verzweifelt nach dem Gleichen suchte. Es waren wilde Nächte die von Sex, Drugs and Rock´n Roll bestimmt waren. Verschwitzt und für eine Nacht lagen sie beieinander um am anderen Morgen wieder jeder für sich alleine aufs Neue auf die Jagd zu gehen. Auf die Jagd in dem Glauben das Liebe nur von außen kommen kann.
Liebe dich selbst wie Deinen Nächsten. Diesen Satz hatte er als Kind oft gehört. Aber was er praktizierte hatte nichts damit zu tun. Das Gegenteil war der Fall. Er missbrauchte seinen Körper, tat ihm Gewalt an. Ja wenn er ehrlich war so musste er sich endlich eingestehen das er sich, das ihm sein Köper Scheiß egal war. Wie konnte er also jemand lieben wenn er sich selbst, seinen Körper nicht liebte?
Wie konnte er zu einem anderen Menschen liebevoll sein wenn er nicht liebevoll mit sich selbst umging? Statt auf seinen Körper Rücksicht zu nehmen war er rücksichtslos zu ihm. Statt auf seine Bedürfnisse zu hören, ignorierte er sie. Statt die Signale seines Körpers, die sich in Krankheiten manifestierten als einen Aufschrei „Halt Du verletzt mich – Dies ist der falsche Weg den Du beschreitest“ zu verstehen, ignorierte er sie. Er hörte den Aufschrei aber er wollte ihn nicht wahrhaben. Ihm ging es einzig und alleine darum seinen Willen durchzusetzen weil er der festen Überzeugung war: Nur so funktioniert es. Nur auf diesem Wege werde ich Liebe finden.
© Wolfgang Kirsch