. . . ne Therapie ist kein Ponyhof

Ein Weggefährte aus der Zeit von Sex, Drugs and Rock n Roll den ich während seines 2 1/2 jährigen Gefängnisaufenthaltes im Rahmen meiner Möglichkeiten unterstützt und begleitet habe, befindet sich nach endlosen Ausflüchten und Hinhalten seitens des Kostenträgers durch energisches Eingreifen eines Richters, dessen Herz und Kopf am richtigen Fleck sitzt, endlich in der Therapieeinrichtung seiner Wahl.

Die Briefe die ich von ihm während seines 2 1/2 jährigen Gefängnisaufenthaltes erhalten habe, sie füllen fast 1 1/2 Leitz Ordner, sprechen von solch seelischen Qualen wie ich sie selten bei einem Menschen in dieser Intensität und Dauer erfahren habe. Umsomehr habe ich mich über seinen ersten Brief gefreut den er mir aus seinem jetzigen Aufenthaltsort, der Therapieeinrichtung schrieb. Waren seine Briefe aus dem Gefängnis von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung geprägt, so war es das erste Mal das ich aus seinen Worten einen wenn auch kleinen Funken Hoffnung wahrgenommen habe.

* * *

Im Dezember 1982 wurde ich in einem Hotel, in dem ich damals wohnte, wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Zu dieser Zeit waren die bürokratischen wie auch die politischen Hürden was den Aspekt „Therapie statt Strafe“ betrifft, noch nicht so hoch wie es heute der Fall ist. Dem Gedanke „Therapie statt Strafe“ stand die Judikative in diesen Jahren aufgeschlossener gegenüber als es heute der Fall ist. Heute ist die Drogenpolitik in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern um einiges restriktiver als sie es in den 80ger Jahren der Fall gewesen war.

Aller Erkenntnis zum Trotz zeigen sich Heute immer mehr Regierungen was den Inhalt der „Wiener Erklärungen“ betrifft so resistent und störrisch wie ein Esel der sich nicht vor einen Karren anspannen lassen will. Die Tatsache das die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen in erheblichem Maß besonders in den Ländern der ehemaligen UDSSR zur Ausbreitung der HIV-Epidemie beiträgt und äußerst negative gesundheitliche und soziale Folgen nach sich zieht wird nicht im geringsten in Betracht gezogen.

Während der Untersuchungshaft habe ich damals Kontakt zu einem Mitarbeiter der Sozialstation aufgenommen. Meine Absicht war es den Richter von meiner ernsthaften Absicht zu überzeugen das eine Therapie in meinem Fall besser und erfolgversprechender ist als der Aufenthalt in einer Justizvollzusganstalt. Dank eines guten Anwaltes, eines engagierten Sozialarbeiters  und vor allen Dingen eines Richters der dem Gedanken einer Chance mehr Bedeutung beimaß als Strafe als Schuß vor den Bug, fiel meine Strafe „relativ“ mild aus: 2 Jahre Gefängnis bzw Therapie unter der Bedingung das ich für die Dauer von 1 Jahr in der Therapieeinrichtung der Drogenhilfe Tübingen – damals Schloß Bettenburg – heute „Fachklinik Schloß Eichelsdorf“ –  (m)eine Therapie erfoglreich „absolvieren“ muß. Sollte ich meinen Aufenthalt vorzeitig beenden, abbrechen so würde sofort ein Haftbefehl in Kraft gesetzt werden damit ich die 2 jährige Freiheitsstrafe ohne Anrechung der Zeit die ich in der Therapie verbrachte antreten muß.

* * *

Am FaschingsDienstag 1982 wurde ich von einem Mitarbeiter der Therapieeinrichtung abgeholt.

„Cool, endlich raus aus dem Knast. Die Therapie mach ich mit links, das is kein Problem für mich.“ „Bettenburg in Manau“. „Manau . . .  Mana U. Was n geiler Name. Klingt wie Manaus in Brasilien.“ Gleich einem Pop Up Fenster in einem Comic assoziierte ich mit dem Wort Mana U – Manaus Kokain. „Yeah dachte ich. Das wird ne geile Zeit werden . . .“

Irgendwann um die Mittagszeit sind wir dann angekommen. Was mir sofort auffiel war die aufgeregte, erwartungsvolle Atmosphäre. Die Gesichter der KlientenInnen waren entspannt, alle freuten sich. Auf was konnte ich mir nicht vorstellen. Auf meine Frage warum hier alle so in Aufregung sind, antwortete mir eine Therapeutin: „Heute abend feiern wir ne Faschingsparty.“

„Morgens noch im Knast und Abends ne Party. Wie geil is das denn. Innerlich grinste ich von einem Ohr zum Anderen nd freute mich auf die Party.“ Nachdem man mich und die Kleidung die ich trug, kontrolliert hatte, schickte man mich in´s Aufnahmezimmer. „Wir werden jetzt Deine Sachen, die Du mitgebracht hast kontrollieren. Wenn wir fertig sind holen wir Dich ab und zeigen Dir das Haus, Dein Zimmer etc . . .“

Stunden später holte man mich dann in einen Raum zum Aufnahmegespräch. 2 oder 3 Ex Klienten aus der Außenwohngruppe in Hofheim und 1 Therapeut saßen im Halbkreis und deuteten auf einen leeren Stuhl der vor ihnen stand. Die Atmosphäre war gespannt um nicht zu sagen distanziert und kühl.

„Nimm bitte Platz.Was willst Du hier?
„Was is los? Was ich hier will? Ne Therapie machen. Was den sonst?“

Wie s aussah hatte ich weder die richtige Antwort gegeben, noch den richtigen Ton getroffen. Wie aus dem nichts und abgesprochen brüllten Alle synchron „Was mir denn einfalle in solch einem Ton ihnen zu antworten? Ob ich denn noch recht bei Trost sei. So ein arrogantes  . . . „ In dieser Tour gings noch ne Weile bis ihnen die Luft ausging.

Meine Strategie, die einzigste die ich damals kannte, war das ich in solch einer Situation verschlossen wie ne Auster und zur personifizierten Arroganz wurde.

„Ich bin hier weil ich ne Therapie mache. Ansonsten wär ich ja wohl nicht hier, oder? sagte ich cool begleitet von einem wie ich fand relaxt coolem Schulterzucken.

Sie standen auf , begleiteten mich ins Aufnahmezimmer und ließen mich mit dem Standard Spruch der zum damaligen therapeutischen Repertoir zu gehören schien zurück:

„Mach Dir mal n Kopp warum Du hier bist, Was Du hier willst“.

Mir kam die Frage schlicht und einfach nur dämlich vor. Alles was ich wollte war „Um jeden Preis raus aus dem Knast.“ Selbst eine Therapie war besser als 2 Jahre Knast“. Das war alles was ich wußte. Darum drehten sich meine Gedanken als ich mit dem Sozialarbeiter in der U-Haft sprach, darauf  konzentrierte ich mich als ich vor dem Richter stand und ihm alles sagte was er hören wollte von dem ich glaubte das es mir den Weg in eine Therapieeinrichtung ebnen würde.

Werte wie Ehrlichkeit, ehrlich sein, Demut kannte ich nicht. Sie waren mir schlicht und einfach unbekannt. Mein Leben das ich zu dieser Zeit seit ca 12 Jahren führte, drehte sich  ausschließlich um Drogen und um Mittel und Wege wie ich mir diese Drogen beschaffen konnte. Was das „Wie“ betraf, dazu war mir jedes Mittel recht. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Demut, Dankbarkeit, diese Werte, diese Worte gehörten nicht zu meinem Vokabular. Es waren nicht die Mittel und Wege die zur Beschaffung von Drogen führten.

Die nächsten Woche waren für mich ziemlich hart gewesen. Dies änderte sich als ich lernte Verantwortung für „Arbeitsbereiche“ zu übernehmen. Während der letzten Monate meines Aufenthaltes war ich für die Tiere auf der Bettenburg verantwortlich. Ein Therapeut dessen Namen ich leider vergessen habe, war der Leiter dieses Bereiches. Das er Therapeut war, so empfand ich es damals, hat das Vertrauensverhältnis das zwischen uns bestand nicht im mindesten gestört oder beeinträchtigt. Ich kam an einen Punkt wo ich mir ernsthaft vorstellen konnte ein solches Leben führen zu können. Die Arbeit mit Tieren, das „Sorgen und mich kümmern“ um Tiere, dieses „für jemand Verantwortung zu übernehmen“ hat mir sehr viel gegeben und mir großen Spaß gemacht. Heute weiß ich das ich ein angeborenes Organisationstalent habe. (letztendlich war es ja auch das was man zur Beschaffung von Substanzen für seine Sucht benötigt). Heute  kommt mir dieses Talent in der Betreuung meiner Mutter sehr zu gute.

Der Knackpunkt zu dem damaligen Zeitpunkt war das ich mich dabei nicht berücksichtig habe. Ich war mir nicht bewußt das sich Verantwortung in erster Linie auf mich selbst bezog. „Verantwortung für mich selbst zu übernehmen“ dies hatte ich noch zu lernen.

Tagsüber waren wir mit dem Traktor unterwegs gewesen und haben bei Bauern Trester von Äpfeln als Winterfutter für die Schafe geholt. Während der Fahrt haben wir uns ganz normal unterhalten. Unter anderen kamen wir darauf zu sprechen, das ich mir durchaus vorstellen könne hin und wieder n Glas Bier zum Mittagessen zu trinken.

Am abend in der Gruppe stellte mir jener Therapeut dann die alles entscheidende Frage.„Und wie ist das jetzt mit nem Bierchen zum Mittagessen Wolfgang?“ In diesem Moment fühlte es sich an als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gestoßen. Jeder Andere hätte mir diese Frage stellen können. Nur er nicht. Seine Frage empfand ich als Verrat. Auf die Idee das er in seinem Job immer Therapeut ist, soweit dachte ich nict  dieser Gedanke ist mir nicht gekommen. Diese Naivität, die positive Konnotation des Wortes „Naiv“, die mich wie ich heute weiß schon ein Leben lang begleitet, schätze ich als eine Qualität. Seine Reaktion auf meine  Antwort war dann auch . . „Da gehste jetzt mal ins Aufnahmezimmer und machst dir n Kopp“

3 Tage machte ich mir n Kopp. In dieser Zeit kamen Klienten wie auch Therapeuten zu mir und versuchten mich zum bleiben zu „bewegen“. Innerlich hatte ich schon längst eine Entscheidung getroffen. Sein Verhalten, das er mir diese Frage in einer Gruppe stellte, empfand ich als einen Vertrauensbruch. Es paßte nicht in mein Bild das ich mir zurechtgebaut hatte. Die Begründung und Rechtfertigung für einen Rückfall war somit unabwendbar.

2 Tage später stand ich im Zimmer des Richters und sagte ihm das ich die Therapie abgebrochen hatte. Das ich die Therapie fast 11 Monate durchgehalten habe, hatte ihn (ich habe ihn) so sehr beeindruckt, das er sich dazu entschied keinen Haftbefehl auszustellen. „Versuchen wir es, sagte er.“

Das war im Dezember 1983. 4 Monate später war ich in Amsterdam und führte das Leben das ich mir geschworen hatte niemals zu zu führen. Ich lebte ein Leben von dem ich mir 100 % sicher war niemals ein solches Leben zu leben. Jeder Andere – ICH nicht.

Heute, 28 Jahre später ist mir klar (ist es schon lange btw) das ich dieses Leben führen mußte, das ich diesen Weg gehen mußte um zu dem Menschen zu werden der ich heute bin.

So merkwürdig es auch klingen mag, ich bin dankbar für alle Erfahrungen die ich in der Vergangenheit gemacht habe. In den Augen Anderer mag es ein harter Weg gewesen sein. Keine Frage, viele Abschnitte meines Weges in meinem Leben waren steinig. Doch jeder Abschnitt war notwendig. Mein Aufenthalt auf Schloß Bettenburg bei Mana_U, dieser Ort dessen Name heute immer noch wie Musik aus Brasilien in meinem Ohren klingt gehört dazu. Jeder Abschnitt lehrte mich etwas. Über mich – über das Leben – über die Menschen.

Copyright © Wolfgang Kirsch

2 Antworten zu . . . ne Therapie ist kein Ponyhof

  1. Jeder macht irgendwie sein Weg. Freut mich, als Leiter der Bettenburg und von Schloss Eichelsdorf, dass Du Deinen Weg gefunden hast. Anzumerken ist, dass diese „harten“ Methoden , weil veraltet, nicht mehr angewandt werden. Trotzdem kann so eine Therapie für einigen hart werden. In einer guten Therapie kommt man oft an seine Grenzen, man lernt Neues kennen, und Neues macht zuerst mal Angst. Diese muss man überwinden! Von den alten Therapeuten sind noch einige da, die würden sich freuen von Dir zu hören.

  2. alivenkickn schreibt:

    Hallo Robert

    Im Grunde genommen ist jede „Therapie“ hart. Es geht um das gewahr werden und loslassen von jahrelang gelebtem Verhalten – s´muster auf jeder Ebene.

    Schon das sich einzugestehen das man „süchtig ist, das Sucht ist eine Krankheit ist“ (dazu ist bis heute große Teile unserer Gesellschaft nicht fähig) ist keine leichte Übung. Bis das im Bauch/Herz angekommen ist, das ist mitunter n langer und steiniger Weg.

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