Zwangsouting von Häftlingen in NRW mit Zustimmung der Landesregierung (akt 2)


Seit 1987 werden HIV-positive Gefangene in Nordrhein-Westfalen dazu genötigt, ihre Infektion gegenüber Mithäftlingen und Bediensteten offenzulegen, wenn sie an Gemeinschaftszeiten („Umschluss“) teilnehmen wollen.

„Hier wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung missachtet“, sagt Winfried Holz, Vorstandsmitglied der Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH). „Wir fordern die Landesregierung daher auf, diesen Eingriff in ein Grundrecht unverzüglich aufzuheben und nicht länger der Diskriminierung Tür und Tor zu öffnen – zumal der angestrebte Schutz der Mithäftlinge durch diese Regelung nicht erreicht wird.“

Die AIDS-Hilfe NRW, die Dachorganisation der nordrhein-westfälischen Aidshilfen, hatte bereits im September 2010 gefordert, das „Zwangsouting“ HIV-positiver Gefangener zu beenden. Die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Romberg und Dr. Robert Orth (FDP) brachte nun die Bestätigung, dass die 1987 eingeführte und allein in NRW praktizierte Regelung „weiterhin aktuell“ ist.

Mithäftlinge werden schriftlich über HIV-Infektionen informiert und müssen dies durch ihre Unterschrift dokumentieren. Und damit nicht genug – nach DAH-Informationen werden Bedienstete in NRW generell über bekannte HIV-Infektionen bei Gefangenen informiert, unabhängig von einer Einwilligung der Betroffenen. „Auf dem PC-Schirm erscheint dann die Information ‚Blutkontakt vermeiden!‘, und das heißt ‚HIV-positiv‘, erläutert Bärbel Knorr aus dem Bereich Drogen und Strafvollzug der DAH. „Das wäre auch noch eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussage der Landesregierung, sie messe dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung von HIV-positiven Gefangenen einen hohen Stellenwert bei, als der blanke Hohn.“

Der Rechtsexperte Dr. Kai Bamman bemängelt: „Mit der Einwilligung des Gefangenen, die Information über seine HIV-Infektion im Umschlussfall weiterzugeben, verzichtet er auf den Schutz höchst persönlicher, vertraulicher Informationen. Viele Gefangene werden nicht durchschauen, welche Tragweite dieser Schritt für sie in Haft haben kann. Erforderlich wäre daher eine Erläuterung und rechtliche Belehrung, die aber nicht erfolgt. Außerdem kann man einmal erteilte Einwilligungen normalerweise auch später noch widerrufen – in diesem Fall scheint das aus tatsächlichen Gründen jedoch kaum möglich, wenn die Information erst einmal bekannt ist.“ Dies müsse, so Bamman, juristisch abgeklärt werden, zum Beispiel auch unter Hinzuziehung des Datenschutzbeauftragten des Landes.

Anders als von der Landesregierung behauptet, schütze das Zwangsouting von HIV-Infizierten die Mitgefangenen nicht vor einer Infektion, so Bärbel Knorr. „Diese Begründung war schon 1987 falsch. Fakt ist und bleibt: HIV ist ein schwer übertragbarer Erreger, mit dem man sich bei alltäglichen sozialen Kontakten nicht ansteckt, auch in Haft nicht. Schutz vor HIV-Übertragungen bieten Kondome – und hier ist NRW eigentlich fortschrittlich, denn in den Haftanstalten kommt man leicht und anonym an dieses Schutzmittel heran.“

Ein Zwangsouting könne dazu führen, dass sich Gefangene nicht auf HIV testen oder behandeln lassen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich Mithäftlinge in falscher Sicherheit wiegen und auf Schutzmaßnahmen verzichten – zum Beispiel nach dem Motto: Solange ich nicht über die Infektion eines Gefangenen informiert werde, kann ich davon ausgehen, dass er nicht infiziert ist.“ Quelle: DAH – aktuelle Meldungen

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1987 – NeunZehnHundertSiebenundAchtzig – diese Zahl muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ein Erlaß der im Jahr 1987, vor 24 Jahren also, der HochZeit der Gauweilereien, in NRW in Kraft gesetzt wurde und bis HEUTE 2011 Bestand hat! Da gehen einem Fragen durch den Kopf die man gar nicht so schnell in die Tastatur tippen kann wie sie einem durch den Kopf schießen.

Dirk Meyer, damaliger Landesgeschäftsführer der AIDS Hilfe NRW hatte anläßlich der Jahrespressekonferenz im September 2010 auf diesen Umstand hingewiesen:

Auch im Strafvollzug muss die Prävention und Gesundheitsförderung ausgebaut werden. Dazu muss die Substitution in allen Justizvollzugsanstalten ausgebaut und durchgängig angeboten werden. Bisher werden nur etwa 3 Prozent der Drogen Gebrauchenden durch Substitution erreicht. Auch das „Zwangsouting“ von Inhaftierten mit HIV muss sofort ein Ende haben! Der so genannte „Umschlusserlass“ aus den Achtzigerjahren muss aufgehoben werden. Mit ihm werden Inhaftierte gezwungen, ihre HIV-Infektion preiszugeben, wenn sie Umschluss mit anderen Gefangenen haben möchten. Wir erwarten unter der neuen Landesregierung eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Ministerium, Strafvollzug und Aidshilfe!

Da der Beschluß seit 1987 existiert und in den 37 JVA`s in NRW umgesetzt wurde (oder gab bzw gibt es gar einige JVA´s in NRW denen dieser Beschluß „peinlich“ war/ist und sie ihn nicht umgesetzt haben?), hatten „die AIDS Hilfe NRW wie auch die örtlichen AIDS Hilfen in NRW“ von diesem Beschluß vor 2010 Kenntis gehabt?

Das das Thema HIV das Bewußtsein der Bevölkerung nur ganz langsam erreicht ist bekannt. Das Stacheldrahtzäune und Mauern sowie der Menschliche Faktor die Durchlässigkeit im Kontext zu dem Thema HIV und Haft nicht unbedingt begünstigen, das liegt auf der Hand. Zudem kommt der Umstand das nicht jede AIDS Hilfe in Deutschland in der Lage oder Willens ist den örtlichen Justizanstalten „HIV und Haft“ als wichtig und Notwendig für die einsitzenden Menschen die HIV + sind zu kommunizieren.

Das Handlungsbedarf besteht, wird in der Ausgabe des Life Magazin das vor ein paar Wochen anläßlich der „Positive begegnung Bielefeld 2010 – erschienen ist, in Umrissen dokumentiert:

In Deutschland gibt es insgesamt 194 Justizvollzugsanstalten, die meisten in Nordrhein-Westfalen (37) und Bayern (36). Insgesamt stehen in Deutschland 78.921 Haftplätze zur Verfügung. Für HIV-infizierte Gefangene gibt es keine gesonderten Bestimmungen, im Alltag sind Ausnahmen jedoch möglich. Eine bekannte HIV-Infektion ist ein Grund für die Einzelunterbringung, das dient der Haftanstalt auch zur Absicherung, denn sie ist verantwortlich, wenn sich ein Mitgefangener auf der Zelle infizieren sollte. Gefangene mit HIV dürfen aufgrund des Diskriminierungsverbotes nicht von Arbeiten in der Anstalt ausgeschlossen werden. Aus der Praxis wird jedoch berichtet, dass Menschen mit HIV häufig nicht in der Küche oder bei Arbeiten, in denen eine Verletzungsgefahr besteht, eingesetzt werden. Die Haftleitung begründet dies meist mit den Mitgefangenen, die Angst vor Infektionen haben und „auf die Barrikaden gehen” würden. Innerhalb von Haftanstalten treten Infektionskrankheiten nach wie vor wesentlich häufiger auf als außerhalb. Das Strafvollzugsgesetz schreibt bei Haftantritt zwar eine medizinische Untersuchung vor („Zugangsuntersuchung”), bei der auch ein HIV-Test angeboten wird, eine Stichtagserhebung, wie sie in den 90er Jahren bestand, gibt es aber nicht mehr. Zudem ist die Testhäufigkeit je nach Bundesland äußerst unterschiedlich: In einigen Bundesländern sind über 90 % aller Gefangenen getestet, in anderen Bundesländern dagegen nur ein geringer Teil. Daten zur Verbreitung von HIV- und Hepatitisinfektionen stammen meist aus Untersuchungen, die in einzelnen Haftanstalten durchgeführt wurden, anders in der 2008 veröffentlichten Studie „Infektionskrankheiten unter Gefangenen in Deutschland: Kenntnisse, Einstellungen und Risikoverhalten”, die repräsentativ für den deutschen Strafvollzug ist. Quelle: Life Magazin, Seite 14 pdf Datei

Der Beschluß von 1987 für die JVA´s in NRW ist Diskriminierung in der Vollendung.

Was der is HIV, ne ne ab inne Einzelzelle – Nur weg mit dem. Isser ja selbst dran schuld an seim HIV.

So ganz nach dem Motto aus den Augen aus dem Sinn. Nur nicht nachdenken.

Das es sich der Eine oder Andere zweimal überlegt ob er bei Strafantritt seine Infektion preisgibt liegt auf der Hand. Der Knast hat nun mal seine eigenen Gesetze. In einer JVA kann man sich weder seinen Umgang noch die Umgebung aussuchen. 24 Stunden auf engstem Platz – Alltag in einer JVA. Von der freien Arztwahl ganz zu schweigen. Da wird man es sich möglicherweise überlegen ob man nicht nur seinen Status HIV + verschweigt sondern unter Umständen auch das man auf überlebensnotwendigen HIV Medikamente angewiesen ist.

Insofern ist es naheliegend das nicht jeder Strafgefangene bei Strafantritt dieses „HIV bezogene Papier“ (das es sich um von Bürokraten zu Papier gebrachtes Gedankengut handeln dürfte die man dem Strafgefangenen bei Antritt seiner Strafe zwecks schriftlicher Einverständniserklärung vorlegt handelt, liegt auf der Hand) aus nachvollziehbaren Gründen unterzeichnen wird.

Interessant ist auch der Aspekt das sich dieser Beschluß in NRW nur auf HIV bezieht. Mir scheint in den JVA´s von NRW ist es noch nicht durch die Mauern in die Köpfe der Bediensteten gesickert das es auch noch andere Infektionskrankheiten gibt.

Eine andere Ebene ist die Tatsache das dieser „Sachverhalt“ ein Politikum ist. Anders ausgedrückt: Jeder Landesregierung egal welcher Couleur sind HIV positive Strafgefangene schlicht und einfach egal. HIV wird – Sie werden dann vor den Karren gespannt wenn es politisch ins Kalkül paßt. Ein Beschluß der 1987 in Kraft gesetzt wurde und der 2011, seit 24 Jahren, Bestand hat, sagt nichts anderes aus.

Ließt man sich Antworten der Landesregierung auf die kleine Anfrage 414 vom 20. Dezember 2010 durch, so könnte man zu folgenden Schlüssen kommen:

1. Sie, die Landesregierung hält die DAH, die AIDS Hilfen wie auch einen großen Teil der Selbsthilfe  für inkompetente Mitglieder von Debattierclubs

2. Es bewegt sich tatsächlich etwas

1. Welchen Zweck verfolgte die damalige Landesregierung mit der Regelung zur Offenlegung einer HIV-Infektion vor der Teilnahme am sogenannten Umschluss in der Justizvollzugsanstalt bei ihrer Einführung im Jahre 1987?
Die von der damaligen Landesregierung getroffenen Regelungen dienten dem Schutz der Umschlusspartnerinnen und Umschlusspartner vor einer Infektion.

2. Auf welchem Erkenntnisstand zum Thema „HIV/AIDS“ und den Übertragungswegen einer HIV-Infektion basierte die Regelung seinerzeit?
Maßgeblich waren die damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisse. HIV wird durch Blut und andere infektiöse Körperflüssigkeiten, im Wesentlichen Sperma und Vaginalsekret, übertragen. Der ungeschützte Sexualkontakt ist der bei weitem häufigste Übertragungsweg.

3. Wie beurteilt die Landesregierung die Aktualität dieser Regelung?
Die seinerzeit getroffene Regelung ist weiterhin aktuell.

4. Welchen Stellenwert misst die Landesregierung dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung von HIV-positiven Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt bei?
Die Landesregierung misst dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung von HIV-positiven Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt einen hohen Stellenwert bei.

5. Wie beurteilt die Landesregierung die psychosozialen Folgen der als Diskriminierung erlebten Praxis des „Zwangsoutings“?
Ein „Zwangsouting“ der HIV-positiven Gefangenen findet nicht statt. Keine inhaftierte Person ist verpflichtet, Informationen über ihren Infektionsstatus an Mitgefangene weiter zu geben.

Dazu der Kommentar von Dr. Guido Schlimbach, Pressesprecher des Verbands.

„Ein Zwangsouting der HIV-positiven Gefangenen finde nicht statt, so der Minister. Keine inhaftierte Person sei verpflichtet, Informationen über ihren Infektionsstatus an Mitgefangene weiter zu geben.“

Diese Antwort des Ministers sei zynisch, so der Pressesprecher der AIDS-Hilfe NRW, Guido Schlimbach. Wenn die seinerzeit getroffene Regelung weiterhin aktuell sei, müssten die Gefangenen ihren HIV-Status offen legen, wenn sie am Umschluss teilnehmen wollten. „Dies kommt unserer Sicht nach einem Zwangsouting gleich, denn die Alternative wäre, allein auf der eigenen Zelle sitzen zu bleiben“, so Schlimbach gegenüber Journalistenanfragen. „NRW ist nach unserer Kenntnis das einzige Bundesland, wo diese Regelung praktiziert wird. Ein unhaltbarer Zustand, den die Landesregierung umgehend abschaffen muss!“, sagte Schlimbach.

Mir scheint der Herr Minister leidet an Realitätsverlust.

Die andere Frage die sich mir stellt ist die nach der Solidarität von HIV Positiven, von der Community. Mir kommt da wieder einmal die Rede von Uli Würdemann in den Sinn, die er anläßlich des Welt Aids Tage in der Paulskirche zu Frankfurt/Main gehalten hat.

Selbsthilfe am Scheideweg – Quo Vadis

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Update 24. Februar 2012

Am 17.2.2011 konnte man dem Soester Anzeiger entnehmen, das die FDP das „Zwangsouting“ von Häftlingen beenden will. Dies hat sie auf dem Weg einer Anfrage Drucksache 15/1324 pdf Datei  entsprechend kommuniziert.

Der Antrag – Drucksache 15/1324 – wurde nach eingehender und wie ich mir vorstellen kann ausführlicher Beratung einstimmig an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Integration überwiesen; die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Mit anderen Worten. Gut Ding will Weile haben. Wobei, ich meine What the Fuck, da ist dieser Beschluß seit 1986 in Worten – seit 25 JAHREN – bindend und gültig, da kommt´s nun auf Stücker 2, 3 0der 4 Jahre mehr auch nicht mehr an.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Artikel in der TAZ vom 22. Februar 2011 „NRW will Zwangsouting abschaffen„.

Update 26. Januar 2012

Zwangsouting in JVA´s in NRW vor dem Aus . . .

Die Landesregierung von NRW muß die Umsetzungsverordnungen zum Erlass des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13.01.1988 zu Maßnahmen zur AIDS-Früherkennung und -Behandlung in Justizvollzugseinrichtungen (4551–IV.23), wonach Gefangene in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten ihre HIV-Infektion offenlegen müssen, wenn sie an den Gemeinschaftszeiten teilnehmen wollen, umgehend den heutigen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen anpassen und bei der Neuregelung sowohl den Fürsorgepflichten gegenüber den Inhaftierten und den Bediensteten als auch den Rechten der Gefangenen Rechnung tragen.

Quelle AIDS HILFE NRW

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