Es ist nicht mein zu Hause . . .


„Ja“, sagte ich ,“Du hast recht. Das Heim ist nicht Dein zu Hause.“

Diesem Tag habe ich mit Skepsis und einer offenen Haltung zugleich entgegen gesehen. Wir, unsere Freundin, die dienstbaren Geister die meine Mutter seit Jahren zu Hause ver und umsorgten, wir waren uns alle einig, das es gut sei wenn sich meine Mutter darauf einlassen würde, das Heim vor ihrem Umzug, der am Ende des Monats stattfinden wird, anzuschauen. Sie direkt damit zu konfrontieren, ihr zu sagen: „Komm Mutti, wir fahren heute mal ins Heim damit Du es Dir anschauen kannst, einen Eindruck bekommst“ würde, auch da waren wir uns einig, zu einer Verweigerung führen.

In den letzten Jahren ist es immer schwieriger geworden sie zum Verlassen ihres Hauses zu bewegen. Selbst wichtige Arztbesuche wollte sie nicht mehr wahrnehmen. Das Laufen weniger Schritte, die 3 Stufen der Eingangstreppe herunter zu gehen fiel ihr unendlich schwer. Es brauchte viel Überredungskunst sie zu einem Arztbesuch zu bewegen. Selbst die Aussicht im Anschluß an den Arztbesuch in ihr Lieblingslokal zum Mittagessen zu fahren funktionierte nicht mehr. Dennoch wollten wir es über „Du hast einen Termin“ versuchen.

Kurz vor halb Zehn erreichte mich ein Anruf: „Hallo, hier ist Ulrike“. Es war unsere Freundin die mich anrief: „Wir haben es geschafft. Mutti sitzt im Auto und wir fahren jetzt los“. „Ok“ sagte ich, „Wir sehn uns dann im Heim“.

Ich war erstaunt und erfreut zugleich. Kassandra die ich bin war ich skeptisch ob meine Mutter den Termin wahrnehmen würde. Umso mehr hat es mich gefreut. In letzter Zeit lese ich immer wieder als Mutmacher für Andere : „Gib die Hoffnung nicht auf“ oder „Es wird schon klappen“. Als Unterstützung finde ich es angemessen. Doch selbst dieses Prinzip Hoffnung zu verinnerlichen, halte ich für fragwürdig. Wenn sich eine Hoffnung nicht erfüllt dann ist Enttäuschung idr die Folge. „Offen sein und wahrzunehmen“ was geschieht halte ich pers für Gesund und der Realität entsprechend. In diesem Fall habe ich mich gefreut als ich erfahren habe das meine Mutter sich auf das Konzept „Wir haben einen Termin“ eingelassen hat. Hätte sie sich geweigert, gesagt: „Nein ich will nicht zu dem Termin fahren„, dann hätte ich es ebenso akzeptiert, wissend das sie sich dafür entschieden hat. Zu erkennen das in einer Beziehung zwischen Menschen Jeder für sich, für seine Entscheidung selbst verantwortlich ist läßt Aspekte wie „Schuldgefühle“ nicht aufkommen. Ich kann nur meinen Teil zu etwas beitragen, habe aber keinen Einfluß darauf ob der Andere seinen Teil dazu selbst beiträgt. Viele bezeichnen eine solche Haltung als Kalt und Herzlos. Dies ist jedoch nicht der Fall. Jede Entscheidung hat Folgen. In vielen Fällen sind die Folgen von Entscheidungen auch mit Leid und Schmerz verbunden. Dies wahrzunehmen berührt jeden Menschen, läßt jeden Menschen mitfühlen.

In dem Heim in das meine Mutter umziehen wird gibt es einen „Betreuungsdienst“. Die Dame des Betreuungsdienstes wird nach dem Um/Einzug eines neuen MitbewohnersIn ihn/sie während der ersten 6 Wochen täglich begleiten, ihm/ihr zur Seite stehen um ihr/ihm die Eingewöhnung zu erleichtern. Mit ihr hatte ich mich verabredet und sie gebeten meiner Mutter ihr zukünftiges Zimmer, die Räumlichkeiten des Hauses zu zeigen.

Wie es sich herausstellen sollte sind beide Frauen, die Dame vom Betreungsdienst und meine Mutter wunderbar miteinander ausgekommen. Sie hatten sofort einen Draht zueinander gefunden. „Ich glaube“, sagte Sie zu mir, als wir uns verabschiedeten, „Ihre Mutter wird mit der Tatsache das sie hier leben wird mit der Zeit klarkommen. Sie war von dem Wesen meiner Mutter sehr angetan. „Sie ist ein liebenswerter Mensch“, sagte sie.

Alles in allem waren es 2 anstrengende Stunden für meine Mutter. Bevor sie ins Auto unserer Freundin einstieg um nach Hause zu fahren sprachen wir noch eine Weile miteinander. „Wie ist Dein Eindruck von dem Haus„, fragte ich sie.

„Es ist sauber und ordentlich, sagte sie. Die Zimmer in den Fluren sind wie in einer Kaserne. Es ist nicht mein zu Hause . . .“

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„Die Zimmer in den Fluren sind wie in einer Kaserne .“ Es sind Bilder aus der Zeit in der sie aufgewachsen ist, die sie geprägt hat, die sich in ihr festgesetzt haben. Bilder einer Zeit die sie erlebte und von der sie hoffte das sie eine solche Zeit nie wieder erleben muß. Es sind diese Assoziationen die, während meine Mutter sich das Heim anschaut in dem sie die letzten Jahre ihres Lebens verbringen wird, in ihr aufsteigen. In ihrer Wahrnehmung  ist das eingetroffen von dem sie hoffte das es niemals wieder eintreffen möge . . .

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